Tage der Schuld by Arnaldur Indriðason

Autor:Arnaldur Indriðason
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2017-01-04T13:26:20+00:00

Neunundzwanzig

Als Erlendur in sein Büro in Kópavogur zurückkehrte, sagte man ihm, dass Marian Briem zwar immer noch krankgeschrieben war, aber ihn unbedingt sprechen wollte. Erlendur wusste nicht einmal, wo Marian wohnte. Es war nicht schwer, das herauszufinden, aber es war sehr ungewöhnlich, dass Marian jemanden zu sich nach Hause einlud, so viel wusste Erlendur. Er hatte zumindest noch nie davon gehört, und insofern hatte er nicht die geringste Ahnung, was ihn erwartete. Offensichtlich wollte Marian das Privatleben genauso für sich behalten wie er selbst.

Erlendur hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und um die Abendessenszeit fuhr er, ausgehungert, wie er war, erst einmal zum Skúlakaffi. Dort gab es Pökelfleisch mit Kartoffeln und Möhren und die dazugehörige Suppe aus gelben Erbsen. Anschließend wollte er zu Marian, doch als er schon beim Wagen war, fiel ihm ein, dass er Marian vielleicht etwas zu essen mitbringen sollte. Er ging zurück ins Lokal, kaufte ein Smörrebröd und ließ es in eine Schachtel packen.

»Vielen Dank, aber du hättest dir doch meinetwegen keine Umstände machen müssen«, sagte Marian und nahm die Schachtel entgegen, als Erlendur kurz darauf an der Tür stand.

»Ich dachte nur, dass du vielleicht was zu essen vertragen könntest«, entgegnete Erlendur. »Es gab aber nur noch Smörrebröd mit Krabben.« Er sah sich in der Wohnung um. Eine Portweinflasche stand geöffnet auf dem Tisch. »Geht es dir inzwischen etwas besser?«

»Es wird so langsam wieder.«

Marian war anscheinend ein Bücherwurm. Die vielen Regale in der Wohnung waren von oben bis unten vollgestopft mit Büchern, mit voluminösen ausländischen Nachschlagewerken, aber auch mit schmalen isländischen Lyrikbändchen mit abgegriffenen Rücken, die sich hier und dort in den Regalen verschwörerisch aneinanderdrängten. Isländersagas und Liebesromane standen in dieser Büchersammlung Seite an Seite, sozusagen auf Augenhöhe. Außerdem viele Bücher über Island, Biographien von interessanten Persönlichkeiten und übersetzte Kriminalromane. Aber auch naturwissenschaftliche Bücher und Bildbände aus allen Sparten des künstlerischen Schaffens, von Barockmusik bis Ballett. All das stand so akkurat aufgereiht in den Regalen, dass es eine Freude fürs Auge war. Es war nicht zu übersehen, dass Marian eine Zeitlang in der Stadtbücherei gearbeitet hatte. Auffällig waren auch die vielen kleinen Statuetten und Figürchen, die vor den Büchern standen, zierliche, bemalte Porzellanfiguren und dazwischen auch etwas gröbere Keramik- und Holzfiguren. Eine ansehnliche Sammlung. Marian sah, dass Erlendur diese Figuren interessiert betrachtete.

»Eine Freundin von mir ist früher um die Welt gereist und hat mir viele Jahre lang solche Figuren geschickt«, erklärte Marian. »Jede stammt aus einem anderen Land, und alle sind auf ihre Weise landestypisch.«

»Du sagst, sie war früher auf Reisen? Reist sie jetzt nicht mehr?«

»Vorgestern habe ich einen Brief bekommen. Sie ist gestorben«, sagte Marian. »Es hat mich tief getroffen. Ich … Ich war nicht darauf vorbereitet.«

»Ich verstehe«, sagte Erlendur. »Deswegen mochtest du nicht zur Arbeit gehen.«

Sein Blick blieb an einem gerahmten Foto hängen, das auf einem kleinen Tisch stand und einen älteren Mann im schwarzen Anzug zeigte. Vor dem Foto brannte ein Teelicht in einem Kerzenhalter aus isländischer Lava.

»Ein alter Freund von mir«, sagte Marian. »Er hatte einen seltsamen Namen, er hieß Athanasius. Er ist schon seit vielen Jahren tot.

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